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Aktuelles

Kirche, Klimakatastrophe und Aktivismus

Den Kirchenvorstand bedrückt die drohende Klimakatastrophe sowie der öffentliche Umgang mit Aktivisti, die sich für deren Abwendung einsetzen. Als Kirchgemeinde, die sich der Bewahrung der Schöpfung verpflichtet sieht, können und wollen wir dazu nicht schweigen. In seiner Sitzung am 6. Dezember hat der Kirchenvorstand das Positionspapier "Kirche, Klimakatastrophe und Aktivismus" der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) Leipzig zur Kenntnis genommen - dieses Papier hat uns inhaltlich und argumentativ überzeugt und wir haben einstimmig beschlossen, es zu unterzeichnen und hier im Wortlaut zu veröffentlichen. Die von der ESG formulierten Positionen sind ausdrücklich auch unsere.


Positionspapier der ESG Leipzig

Die Leipziger ESG solidarisiert sich mit den Aktivisti der “letzten Generation” und will die Position der EKD und des Landesbischofs Bilz unterstützen. Das folgende Positionspapier wurde am 27.11.2022 vom Gemeinderat der ESG Leipzig verabschiedet. Wir laden alle ESGn und Kirchengemeinden herzlich ein, sich diesen Text zu eigen zu machen und ihn mit zu unterzeichnen:

Als Studierendengemeinde begrüßen wir ausdrücklich die Einladung einer Sprecherin der „Letzten Generation“ zur Synode der EKD. Unter dem Dach der ESG versammeln sich viele verschiedene fachliche Perspektiven, was einen intensiven Austausch erlaubt und zu angeregten Diskussion führt. Wir sehen dringenden Handlungsbedarf gegen die Klimakatastrophe und freuen uns, dass sich die EKD-Synode erneut mit dem Thema auseinandersetzte und dazu Aimée van Baalen als Sprecherin der „Letzten Generation“ eingeladen hatte. Insbesondere ihrer Rede stimmen wir vollumfänglich zu. (Rede auf der Synode: https://www.youtube.com/watch?v=zR-bF2JA1N0)
Die Dringlichkeit zum Handeln, die van Baalen anmahnt, findet sich auch in den Stimmen aus Wissenschaft und globalen Institutionen: UN-Generalsekretär Guterres sprach auf der COP-27 von der Aussicht auf eine „Klimahölle“, wenn die Welt den aktuellen Weg weiter fortsetzt. Dieses drastische Bild ist basierend auf den aktuellen Ergebnissen des IPCC-Berichts keine Übertreibung. Dabei gilt es zu bedenken, dass der IPCC-Bericht aufgrund des Konsensprinzips die Situation meist eher konservativ einschätzt.
Die jüngste Veröffentlichung des Expertenrats für Klimafragen zum Fortschritt der Bundesrepublik bei der Einhaltung der Ziele des Pariser Klimaabkommens stellt unserer Regierung ein sehr schlechtes Zeugnis aus (https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/klimaziele-deutschland-expertenrat-101.html,
https://expertenrat-klima.de/content/uploads/2022/11/ERK2022_Zweijahresgutachten.pdf).
Die Ziele für 2030 sind kaum mehr zu erreichen. Umso wichtiger ist es, ein entschlosseneres Handeln für Klimagerechtigkeit einzufordern, damit wir die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen schützen, wie es unser Grundgesetz fordert (Art. 20 a) und auch vom Verfassungsgericht im Urteil vom 24. März 2021 verlangt wurde.

Es ist gut und dringend notwendig, dass es eine ganze Bandbreite an Aktionsformen gibt, um dieses Handeln einzufordern. Jede Art von Beteiligung und Aktivismus muss dabei aber auch kritisch diskutiert werden. Bedenklich finden wir, dass diese Diskussion bezogen auf die Gruppe „Letzte Generation“ in der Medienöffentlichkeit im Moment sehr einseitig geführt wird und mehr auf Generierung von Empörung gesetzt wird, als auf eine inhaltliche, faktenbasierte Auseinandersetzung. Hier möchten wir als Gegenpol zu den oft gehörten Extremismus-Vorwürfen der Politik kurz auf den Brief der Aktivisti an die Bundesregierung verweisen, der sehr deutlich die rechtlichen und wissenschaftlichen Rahmenbedingungen der aktuellen Lage umreißt und auch deutlich macht, dass die Rechtsverstöße und Störungen sehr bewusst und reflektiert geschahen: https://letztegeneration.de/brief-an-die-bundesregierung/ .

Wir sehen in der Kirche einen Raum, einer respektvollen inhaltlichen Auseinandersetzung Platz und Gehör zu geben, aber auch, eine christliche Perspektive in die Diskussion um Inhalte und Formen mit einzubringen. Christliche Verantwortung ist insbesondere ein Engagement für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Die Vollversammlung der Bundes-ESG hat dies im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 so zusammengefasst:

„Eine Politik, die weiterhin ein profitorientiertes Wirtschaftswachstum an erste Stelle setzt, und damit die Lebensgrundlagen von Menschen und Tieren unwiederbringlich zerstört, ist nicht christlich.
Eine Politik, die den globalen Süden mit der Hauptlast der Klimakatastrophe alleine lässt, ist nicht christlich.
Eine Politik, die unseren nachfolgenden Generationen einen zerstörten Planeten hinterlässt, ist nicht christlich.“
Zitiert aus dem Beschluss der 7. Vollversammlung der Bundes-ESG vom 17.09.2021

Auch wir stehen für friedlichen Protest ein. Erinnert man sich an die Friedliche Revolution, die 1989 aus den Kirchen heraus wuchs, war gerade der Ruf „Keine Gewalt“, immer wieder aus der Kirche in die Menge getragen worden.

Frieden und Gewaltfreiheit ist aber nicht gleichzusetzen mit „Störungsfrei“ oder „Reibungslos“. Frieden im christlichen Sinne – analog dem jüdischen „Shalom“ – geht weit darüber hinaus. Frieden ist nicht gleichzusetzen mit Ruhe jetzt und vor unseren Augen. Unser Friedensbegriff schließt kollektives Wohlergehen ein und impliziert, dass die Bedürfnisse keines Lebewesens unerfüllt bleiben dürfen. Auch Klage und Leid dürfen und müssen in diesem Frieden bzw. auf dem Weg dahin zu Wort kommen. Eine Ruhe, die bequem die Augen verschließt vor dem Leid, das im globalen Süden erlebt wird, vor dem Schmerz, den uns die Natur klagt, ist kein Frieden. Im Gegenteil. Sie ist Gewalt. Gewalt an denen, die unter unserem westlichen Konsum leiden, Gewalt an denen, deren Ruf um Hilfe und Minimierung dieses Leids von uns im globalen Norden ignoriert wird. Gewalt an der Natur und an zukünftigen Generationen. Dorothee Sölle umriss dies schon 1983 in ihrer Rede beim ÖRK in Vancouver:

„Es gibt eine Art, Theologie zu betreiben, ohne dass die Armen und wirtschaftlich Ausgebeuteten jemals sichtbar werden oder zu Wort kommen – das ist Apartheidstheologie. Ich spreche hier von meiner sozialen Klasse, aber ich möchte alle aus anderen wirtschaftlichen Situationen einschließen, die denselben Idealen folgen, auch wenn sie sie noch nicht erreicht haben. Liebe Schwestern und Brüder aus der Dritten und aus der Zweiten Welt, ich bitte Euch: Folgt uns nicht. Beansprucht, was wir Euch gestohlen haben, aber folgt uns nicht. Ihr werdet sonst traurig mit dem reichen Jüngling von Christus Abschied nehmen müssen. Lasst Euch nicht auf unsere in der westlichen Welt entwickelte Vorstellung von “Fülle des Lebens” ein. Sie ist eine Lüge. Sie trennt uns von Gott, sie macht uns reich und tot.“
Dorothe Sölle, Vancouver 1983

Kirche muss in unserem Verständnis unbequem sein. Den Finger in die Wunde legen, wo Gewalt und Unfrieden herrschen.

Das Recht und die Notwendigkeit zum Widerstand ist niemals unumstritten und erfordert kritische Reflexion. So sah sich der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer in seiner Zeit und Situation vor die Frage gestellt, ob Kirche nur eine Fürsorgepflicht für die Opfer hat oder ob sie selbst in bestimmten Situationen dem „Rad in die Speichen fallen“ muss. Bonhoeffer redet nicht nur davon dem Rad in die Speichen zu „greifen“, sondern vom „Fallen“: davon, die eigene Sicherheit und Unversehrtheit aufs Spiel zu setzen, um einen Kurswechsel zu provozieren. Das Bild macht deutlich, dass dies selbst bei unsicheren Aussichten auf Erfolg geboten sein kann. Wir verstehen den gewaltfreien Aktivismus der „Letzten Generation“ als notwendigen Versuch dem Rad in die Speichen zu fallen.

Der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas skizziert die Notwendigkeit zivilen Ungehorsams in einem Rechtsstaat:

„Wenn die Repräsentativverfassung vor Herausforderungen versagt, die die Interessen aller berühren, muss das Volk in Gestalt seiner Bürger, auch einzelner Bürger, in die originären Rechte des Souveräns eintreten dürfen. Der demokratische Rechtsstaat ist in letzter Instanz auf diesen Hüter der Legitimität angewiesen.“
Jürgen Habermas

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass unsere aktuelle Lebensweise im globalen Norden eine immense Gewalt und Auslöser von Unfrieden darstellt. Gewaltfreier ziviler Ungehorsam ist in Anbetracht dessen, dass unser Staat seiner verfassungsgemäßen und völkerrechtlich bindenden Aufgabe nicht gerecht wird, und in Anbetracht der Größe des entstehenden Leides ein legitimes Mittel. Auch mehrere Gerichtsurteile zu Waldbesetzungen und Straßenblockaden haben zuletzt die Legitimität zivilen Ungehorsams im Verhältnis zur Dringlichkeit der Lage und Untätigkeit unseres Staates hervorgehoben (https://taz.de/Urteil-zu-Baumbesetzung/!5890379/,
https://letztegeneration.de/blog/2022/11/freispruch-in-freiburg-und-sicherungshaft-in-bayern-wie-passt-das-zusammen/ ).

Unsere Mittel, über kirchliche Hilfswerke grenzüberspannende Netzwerke aufzubauen, Geschwistern aus dem globalen Süden Gehör in Politik und Gesellschaft zu verschaffen durch Partnerschaften und Veranstaltungen, haben wenig Früchte getragen. Zu groß ist die Übermacht derer, die sich am Leid und Unfrieden kurzfristig bereichern. Die Versuche, innerhalb unseres Rechtsrahmens durch die EKD, den Kirchentag, Brot für die Welt und andre Personen mit öffentlicher Reichweite wie Bischöfinnen und Bischöfe diese Gewalt anzuprangern und zu beenden, verhallten. Und daher unterstützen wir die, die dieses Unrecht gewaltfrei anmahnen. Aktivisti der „Letzten Generation“, der „Scientist Rebellion“ und viele andere Gruppen tun das, was im tiefsten Kern christliche Verantwortung ist: Sich auflehnen gegen Unfrieden und Ungerechtigkeit.


Das Positionspapier wurde von der ESG Leipzig erstmals am 29. November 2022 an dieser Stelle veröffentlicht: https://esg-leipzig.de/kirche-und-gesellschaft/kirche-klimakatastrophe-und-aktivismus-positionspapier-der-esg-leipzig/